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Besuch eines Elfen
Copyright by Velya
Wenn ich mit anderen über meine Geschichten rede, stelle ich immer
wieder fest, daß die meisten Menschen eine sehr eigenartige Vorstellung
von Elfen haben. Viele stellen sie sich als handlange, leuchtende Wesen
mit Schmetterlingsflügeln vor - Leute, das sind FEEN und keine Elfen!
- oder man nennt sie Puck und läßt sie durch einen Sommernachtstraum
spuken und Oberon nerven. Andere setzen ihnen Pilzhütchen auf oder
verwechseln sie gar mit J.R.R. Tolkiens Elben. Elfen sind also entweder
niedlich und etwas doof oder äußerst erhaben und weise, oder
sie sind einfach nur Märchenwesen.
Um endlich mehr Verständnis für dieses scheue, sowohl an
Zahl als auch an Körperhöhe kleine Volk zu wecken, habe ich mich
entschlossen, eine Begebenheit zu erzählen, die sich dieses Jahr im
Frühsommer zugetragen hat.
Ich war leicht verwirrt, als es an meiner Hintertür klopfte. Da
ist schließlich auch etwas unüblich, nicht wahr? Normale Menschen
klingeln doch an der Vordertür. Jedenfalls hat bei mir noch niemand
im Garten geparkt.
Daher zögerte ich einen Moment, bevor ich mich auf den Weg machte.
Es war immerhin schon fast Mitternacht, da ist man vorsichtig, wen man
in sein Haus läßt. Als sich das Klopfen jedoch immer heftiger
wiederholte, erhob ich mich aus meinem Fernsehsessel und ging zur Tür.
Durch das krisselige Glas konnte ich nicht viel erkennen, trotzdem raffte
ich meinen Mut zusammen und schloß auf. Vorsichtig öffnete ich
die Tür einen Spalt und lugte nach draußen.
„Bitte, dürfte ich hereinkommen?" fragte mich der Elf, der da
vor meiner Tür im strömenden Juniregen stand. Etwas verdattert
starrte ich in das von triefnassen Haaren umrahmte Gesicht. „Äh -
wie bitte?" war das einzige, was ich als Antwort herausbekam.
„Ob ich bitte hereinkommen könnte? Es ist ziemlich kalt hier nachts
im Regen, weißt du?"
Nachdem ich den Elfen noch zwei Sekunden lang angestarrt hatte, öffnete
ich die Tür ganz. „Oh, ja, sicher, kein Pro-"
„Danke sehr!" machte der Elf und schob sich an mir vorbei ins Trockene.
Verdattert schloß ich meine Hintertür wieder ab, allerdings
nicht, ohne vorher meinen Garten auf eventuell vorhandene Freunde meines
nächtlichen Besuchers abzusuchen.
Der Elf hatte sich währenddessen in meine Küche begeben und
bediente sich an meinem Gouda. „Mmmh!" machte er, als er den Kühlschrank
schloß. „Leckeres Zeug, ehrlich! Ihr Menschen seit doch gastfreundlicher,
als man allgemein so sagt." Ich wollte gerade erwidern, daß ich ihn
keineswegs zur Vernichtung meiner Käsevorräte eingeladen hatte,
als der Elf abermals den Kühlschrank öffnete, eine Milchtüte
hervorzog und sie sich an die Lippen setzte. „Oh, moment, entschuldige",
murmelte ich und holte ein Glas aus dem Küchenschrank. „Danke sehr",
sagte der Elf artig und steckte das Glas in eine kleine Felltasche, die
er um die Schulter gehängt trug, wonach er einen kräftigen Schluck
aus der Milchtüte nahm und sie mit einem lauten „Aaaah!" in den Kühlschrank
zurückstellte. Mir wurde bewußt, das zwischen uns ein massiver
Kulturkonflikt bestand.
Der Elf setze sich auf einen der Küchenstühle und musterte
mich eindringlich. Ich nutzte die Pause, um meine Gedanken zu sortieren
und setzte mich ihm gegenüber an den Tisch. Dabei fiel mir auf, daß
sich auf dem Linoleum zu seinen Füßen eine kleine Pfütze
zu bilden begann. Erschrocken sprang ich wieder auf. „Ach je, ich bin aber
auch ein Dussel!" rief ich aus, rannte ins Badezimmer und kam atemlos mit
zwei Handtüchern zurück. Die dunklen Augen des Elfen leuchteten
auf. „Genau das, was ich brauche", bemerkte er zufrieden. Damit griff er
nach einem Handtuch und begann, seine Haare durchzufrottieren. Etwas verlegen
hängte ich ihm das andere Handtuch um die Schultern. Nachdem der Elf
seine Haare zu seiner Zufriedenheit getrocknet hatte, ließ er das
Tuch fallen und widmete sich wieder seiner Erkundigung meiner Erscheinung,
was mich sehr nervös machte.
„Ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber was machst du -
Sie - ich meine - es ist ja immerhin schon spät und -"
„Kann man das essen?" fragte der Elf und deutete auf meine Butterschale.
„Das ist Butter", war meine intelligente Antwort.
Der Elf schaute mich mit großen, geduldigen Augen an. „Kann man
das essen?" wiederholte er.
Mechanisch nickte ich. „Aber", sagte ich schnell, als er danach griff,
„eigentlich schmiert man das auf Brot."
„Oh", machte der Elf und zog seine Hand zurück, „warum?"
„Nun, es schmeckt gut, und außerdem klebt der Käse dann
besser dran und fällt nicht runter." Ich kam mir auf Grund dieser
Antwort ziemlich doof vor und hätte mich am liebsten geschlagen. Dem
Elfen erschien diese Erklärung jedoch ziemlich einleuchtend.
„Hast du mal Brot, damit ich das ausprobieren kann?" fragte er.
„Sicher, da oben im Schrank", wies ich ihn an. Ich hatte mich mittlerweile
einigermaßen gefangen und holte ihm einen Teller und ein Messer sowie
die vorletzte Goudascheibe. Während der Elf konzentriert eine Scheibe
Brot mit der Brotschneidemaschine abschnitt, brachte ich die nassen Handtücher
zurück ins Badezimmer und holte einen Trainingsanzug, damit mein Gast
seinen nassen Klamotten loswerden konnte.
Als ich zurückkam, untersuchte der Elf gerade ausgiebig das Messer.
Ich schaute ihn fragend an. „Muß man das nehmen, oder geht das auch
mit dem hier?" fragte er, wobei er einen kleinen Dolch aus behauenem Feuerstein
hervorzauberte.
„Sicher geht das auch, aber wieso?" erkundigte ich mich. Der Elf zuckte
nur mit den Schultern und begann, sein Brot mit dem Steindolch zu buttern.
(Elfen mögen kein Eisen, noch weniger Stahl, aber das fiel mir an
diesem Abend um 0:23 Uhr nicht ein. Schlagt mich, aber ich halte die Uhrzeit
für eine gute Entschuldigung!)
Ein Blick in das genießerische Gesicht des Elfen, der den ersten
Bissen des Käsebrotes durchkaute, vertrieb den Rest meiner Scheu.
„Entschuldige die Frage, aber was machst du eigentlich hier in meiner
Küche?" fragte ich. Die dunklen Augen schauten mich kritisch an. „Jetzt
sag nicht, daß du ißt", beeilte ich mich hinzuzufügen.
„Was ich meinte, war, wieso bist du hier?"
„Es ist doch so naß draußen", sagte der Elf mit einem mitleiderregenden
Augenaufschlag. „Ich will zum Mittsommerfest, und da bin ich irgendwie
hergekommen, und jetzt weiß ich nicht mehr, wo ich bin."
„Nun, du bist bei mir", meinte ich trocken.
Mein Gast schaute sich um, wobei seine Augen aufstrahlten. „Stimmt!"
sagte er begeistert.
Zufrieden stellte ich fest, daß ich langsam durch seine Logiken
hindurchfand. Daher bohrte ich weiter: „Und wo willst du hin?"
Die Augen verengten sich etwas, als der Elf mit vernichtender Langsamkeit
erklärte: „Zum Mittsommerfest."
Mir schoß das Blut ins Gesicht, und aus irgendeinem Grund fiel
mir ein altes Sprichwort ein: 'Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben'...
So schnell wollte ich mich jedoch nicht entmutigen lassen und fragte tapfer:
„Wo ist das denn, das Fest?" Am Gesichtsausdruck des Elfen erkannte ich,
daß er mich nun vollends für beschränkt hielt. Er atmete
ruhig ein und aus und sagte dann sehr langsam, wie ein geduldiger Erwachsener
zu einem Kind: „Im Wald."
„Das habe ich mir schon gedacht, daß es nicht im meinem Garten
ist", sagte ich wütend darüber, daß er mich für dämlich
hielt, „aber wo, ich meine in welchem Wald ist es?"
Der Elf schaute mich verständnislos an. „Im Wald halt", meinte
er. „Wenn ich erst mal wieder im Wald bin, finde ich das Fest auch."
„Na, dann ist es ja gut", sagte ich beruhigt. „Willst du noch Käse?"
„Nein, danke", sagte der Elf artig, „aber Erdbeeren wären gut,
danke sehr." Leicht gereizt gab ich ihm die Schale mit meinen ersten Gartenerdbeeren
und sah zu, wie sie verschwanden.
Draußen prasselte noch immer der Regen auf den Boden. Das Geräusch
mischte sich mit dem Ticken der Küchenuhr zu einem sehr einschläfernden
Rhythmus. Anscheinend empfand nicht nur ich so, denn der Elf gähnte,
als gälte es ein Pferd zu verschlingen. Dies und seine traurige, nasse
und verwirrte Erscheinung weckte wohl so was wie meine Mutterinstinkte
und veranlaßten mich, ihm für die Nacht meine Couch im Wohnzimmer
anzubieten. Die dunklen Augen leuchteten abermals auf. Er sah richtig drollig
aus, wenn das passierte!
„Das würdest du mir erlauben?" fragte er ungläubig, sprang
auf und gab mir einen dicken Schmatzer auf die rechte Wange. „Oh, das ist
nett, sooooo nett von dir, danke, danke, danke!" Und Zack! hatte ich auch
links einen sitzen. Ich sprang hastig auf und schob den Elfen etwas verlegen
auf sichere Distanz. „Ist ja gut, ist doch alles kein Problem", murmelte
ich. „Ich hole nur schnell eine Dralondecke und dann geht das, ist doch
kein Aufwand..." So versorgte ich meinen Gast, gab ihm auch den Trainingsanzug
und legte mich dann selber schlafen.
Ich erwachte gegen etwa 10:30 Uhr, da ich in meiner nächtlichen
Verwirrung vergessen hatte, meinen Wecker zu stellen, und war äußerst
dankbar für die Tatsache, daß Samstag war. Müde stand ich
auf, schlüpfte in meinen Morgenmantel und ging ins Wohnzimmer, um
nach meinem Gast zu schauen. Der Trainingsanzug hing über der Lehne
meines Fernsehsessels, die Decke lag sauber zusammengefaltet und mit einem
Gänseblümchen verziert auf der Couch. Der Elf war offensichtlich
gegangen.
Ich begab mich also in die Küche, um meinen morgendlichen Tee
aufzubrühen. Auf dem Küchentisch fand ich meine Zeitung, die
mit Filzstift verziert war.
„Danke", las ich, „ich hab noch Käse mitgenommen. Bis nächstes
Jahr! Bussard."
Copyright
© by Dorte Schünecke
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