Die
Farbhexen
Es war einmal, vor langer Zeit,
in einer Welt voller Magie und Träume, ein Land, zerklüftete
Berge, himmelblaue Seen, grüne Wiesen und ein Schloß. Ein Schloß
mit hohen Türmen, gebaut für die Ewigkeit.
In diesem Land mit Namen Aalrona
lebten die Menschen friedlich zusammen. Es gab Ritter, die die Grenzen
verteidigten, Bauern die das Land bestellten und Kaufmänner, die durch
das Land reisten, und ihre Ware anboten. Und es gab einen König und
eine Königin, und einen Prinzen. Sie waren gütig, gerecht, aber
nicht naiv. Sie wußten, welche Gefahr ihrem kleinen, aber reichen
Königreich von den Nachbarn drohte. Viele Fürsten und andere
Könige waren schon immer darauf aus gewesen, sie zu erobern. Ihre
Geheimnisse machten sie so begehrt!
Und so wie sie dies wußten, so schickten sie regelmäßig
ihren Sohn, als er alt genug war, hinaus zu den Grenzen, um sie zu kontrollieren.
Prinz Toran war ein starker und gewandter Krieger. Er verstand es wie kein
zweiter, die Feinde abzuschätzen, ihre Angriffspläne vorauszusehen
oder seine Mannen auf den Kampf vorzubereiten.
Doch eines Tages konnte auch er die Eroberung seiner Heimat
verhindern.
Als er gerade die Südgrenze Aalronas kontrollierte
erreichte ihn die Nachricht, daß ein gewaltiges Heer von der Nordseite
das königliche Schloß angriff. Eiligst machte er sich auf den
Weg zurück. Doch er kam zu spät! Schon von weiten sah er die
geschliffenen Mauern seines elterlichen Hauses und als ihm auch noch einer
der Ritter seines Vaters entgegenritt, verletzt, da packte ihn das Grausen.
Er wusste, das konnte nur eines bedeuten:
"Hoheit, Ihr müßt fliehen!" erschöpft
lag der arme Ritter vor ihm.
"Sie haben alle gefangen genommen, Flieht."
Toran sprang vom Pferd und fragte erregt:
"Und der König und die Königin, was ist mit
ihnen?"
Schweigend senkte der Ritter sein Haupt und murmelte:
"Sie wurden hingerichtet!" Der Prinz erbleichte.
"Euer Herr Vater ergab sich, nachdem keine Rettung mehr
in Sicht war. Doch der Anführer der Angreifer hatte kein Erbarmen.
Er bohrte ihm sein Schwert in die Brust." erzählte der Ritter mit
gesenktem Blick.
"Und was ist mit meiner Mutter?" fragte Toran.
"Als sie sah, daß Euer Vater tot war, stürzte
sie sich auf das Schwert des Anführers und verfluchte ihn mit ihren
letzten Worten." Dem Ritter liefen Tränen über die Wangen und
er schämte sich ihrer nicht.
"Ich werde Euch rächen, Vater, Mutter!" rief der
Prinz. Und dann fragte er den Ritter:
"Wer waren die Angreifer, und von wo kamen Sie her? Erhebe
dich und beantworte meine Fragen."
Der Ritter erhob sich und berichtete:
"Das Heer tauchte am frühen Morgen vor dem Schloß
auf und begann sofort damit, es zu belagern. Die Ritter und Bauern hatten
keine Chance. Es gab auch keine Aufforderung sich zu ergeben. Das einzige
was ein Bote uns brachte, war der Name des Angreifers: Fürst Dirba.
Sie schliffen die Mauern und drangen von allen Seiten in das Schloß
ein. Die sich wehrten wurden erschlagen. Euer Vater schickte mich los,
um Euch zu warnen." schweigend blickte der Ritter zu Boden.
"Aber wie sind sie ins Reich eingedrungen? Die Grenzen
werden gut bewacht!" wunderte sich der Prinz.
"Eure Mutter sagte etwas zu mir, bevor ich ging. Ich
solle Euch sagen, daß ein mächtiger Zauberer die Hand über
das fremde Heer halte, und es ihnen deshalb gelungen war unbemerkt ins
Land einzudringen."
Schweigend wandte er sich seinen Rittern zu:
"Jeder der gehen will, kann gehen." sagte er mit leerem
Blick.
Schweigend knieten sich seine Ritter vor ihn hin und
alle riefen:
"Ich werden Euch folgen, mein König!"
Wochen später:
Viel Trauer war in das Land gezogen. Die fremden Angreifer
errichteten eine Schreckensherrschaft, jeder der Ihnen wiedersprach, wurde
gefangengenommen oder sofort getötet. Viele der Lords, Berater und
Freunde des Königs versteckten sich in den Weiten des Landes. Doch
einer nach dem anderen wurde entdeckt. Und niemand wußte was dann
mit ihnen geschah. Sie verschwanden einfach.
Auch Lord Valentar versteckte sich mit seiner Frau. Er
war ein Freund des alten Königs gewesen und trauerte nun um den Zustand
des Reiches. Doch er war sich der großen Gefahr die ihm drohte immer
bewusst. Sein Versteck kannten nur wenige. Es lag gut verborgen in den
tiefen Wäldern des Nachtwaldes, und dessen Undurchdringlichkeit sorgt
dafür, dass sie eine Weile in Sicherheit waren. Seine Frau Arla sagte
immer, dass die Waldhexe für die Sicherheit sorgte. Aber meistens
belächelte er sie nur. Wer glaubte schon an diese alte Legende!
Aber es war eine Tatsache, das nur wenige den Weg zu
ihrem Versteck fanden, und diese waren alle Freunde.
So machte sich auch Prinz Toran, nun König, auf den
Weg zu Lord Valentar. Er hatte nicht geglaubt, dass der Sieg von Dirba
ohne Verrat vonstatten ging, doch alle die den Überfall überlebten
berichteten ihm dasselbe. Durch Unerklärliches tauchte das feindliche
Heer vor den Toren des königlichen Schlosses auf. Niemand hatte es
vorher bemerkt und die Wachen an der Gebirgskette waren ratlos. Sie schworen
bei ihrem Leben, ihren Posten nicht verlassen zu haben. Doch ein so grosses
Heer konnte doch nicht unbemerkt in ein Land eindringen?
Oder doch?
Er musste der Sache nachgehen!
Und Lord Valentar war nicht nur ein Freund seines Vaters
gewesen, sondern auch der Geschichtsschreiber. Er hatte Zeit seines Lebens
die Geschichte des Reiches aufgeschrieben, alte Legenden gesammelt und
die Kultur von Aarlon für die Nachwelt aufgehoben.
Er müsste doch etwas darüber wissen.
Mühsam kämpfte er sich durch den dichten Wald.
Immer wieder stellten ihm sich umgestürzte Bäume in den Weg,
traff er wilde Tiere die ihn beobachteten. Er fühlte sich wie unter
einem Vergrösserungsglas. Er wollte schon aufgeben, als sich vor ihm
ein schmaler Pfad öffnete. Vorsichtig schritt er auf diesem entlang
und nach nicht allzu langer Zeit kam er auf eine Lichtung.
Endlich, das Waldhaus von Valentar!
Vor dem Haus werkelte eine Frau in der Erde, sie blickte
auf und schrie:
"Valentar, komm schnell her!" dann stürzte sie sich
auf den Prinzen.
Fiel vor ihm auf die Knie und sagte:
"Den Farben sei es gedankt! Ihr lebt. Wir hatten uns
so grosse Sorgen gemacht, als niemand uns berichten konnte, was mit Euch
geschehen ist."
"Erhebt Euch, gute Arla! Auch ich bin froh, Euch wiederzusehen."
Helfend streckte der Prinz, nun König, ihr die Hand entgegen.
Hinter dem Haus erschien nun ein grosser, in die Jahre
gekommene Mann. Sein Gesicht zeigte Freude und Sorge zugleich. Auch er
verneigte sich kurz vor dem Prinzen, ehe er ihn ansprach.
"Es ist eine Freude für meine alten Augen, Euch
noch einmal zu erblicken. Mein König."
"Ihr seid doch kein alter Mann, Valentar. Eure Augen
blicken noch scharf genug, um mir im Kampf um mein Königreich beizustehen."
erwiederte der König trocken.
"Leider ist von meinem Gefolge nicht mehr viel übrig,
aber das was ich habe, stelle ich Euch zur Seite! Doch kommt erst einmal
ins Haus. Ihr seht erschöpft aus." Volentarwies in Richtung Tür.
Der Prinz meinte:
"Der Weg hierher war auch anstrengend genug."
Im Haus angekommen, setzten sie sich und erzählten
was in der Zeit nach dem Überfall geschehen war.
Valentar:
"Als wir von dem Überfall hörten, sind meine
Krieger sofort in Richtung Schloss aufgebrochen. Nur wenige sind zurückgekehrt.
Diese berichteten mir Schreckliches. Aber dieses wisst ihr ja bereits.
Ich überlegte was zu tun sei und entschloss mich ersteinmal zu kundschaften.
Also schickte ich wieder einige Männer aus, diesmal um zu horchen.
Sie berichteten mir, dass das Heer unsichtbar über die Berge gekommen
sei. Sie hatten die Spur gefunden, doch keine der Bauern wollten es gesehen
haben. Als der Angriff dann geschah, stürzten die Mauern in sich zusammen.
Blitze, geschleudert aus der Spitze des Heeres, schlugen sie zusammen.
Die Wehrmanschaft hatte keine Chance.
Vor zwei Tagen kam mein letzter Bote zurück. Er
erzählte mir, dass eine Kundgebung stattfand. Es wurde mitgeteilt,
dass der Zauberer Gaffur seine magische Hand über das Heer halte,
und jeder Verrat würde von ihm entdeckt werden. Das Volk wurde aufgefordert
Euch herauszugeben und sich dem neuen Herrscher Dirba zu ergeben. Als Beweis
seiner Macht schleuderte Gaffur einen riesigen Blitz in die Menge, viele
starben." Valentar schwieg ein Weile.
"Gegen einen Zauberer haben wir keine Chance! Die letzten
zauberkundigen in unserem Reich starben schon vor Jahren aus."
"Und was ist mit den alten Legenden? Vielleicht ist an
ihnen etwas dran!" fragte Toran.
Hinter ihnen regte sich Arla. Sie hielt ein Buch in der
Hand und blickte den König prüfend an.
"Eure Gedanken gehen in die richtige Richtung, mein König.
Viele der alten Legenden entsprechen der Wahrheit. Und es gibt noch Magie
in Aarlon. Das könnt ihr mir glauben!"
sprach sie Toran an.
"Ach was! Hört nicht auf sie, mein König. Arla
erzählt schon seit dem ich sie kenne von Fabelwesen, Magie und solchen
Dingen." wiedersprach ihr Valentar.
"Schweig!" Arlas Augen blitzten zornig. "Glaubst du ich
weiss nicht, das du mich immer belächelt hast. Doch der Beweis ist
immer vor deiner Nase gewesen. Wie ich sehe, glaubst du mir nicht. Dann
sieh hinaus, und sieh genau hin. Du wirst feststellen, das überall
Magie ist. Doch gibt sie sich nicht zu erkennen. Dieser Wald, ist einer
der wenigen magischen Wälder von denen wir wissen. Hast du wirklich
gedacht, das dieser Wald zu dicht ist, um uns zu verraten?
Nein, dieser Wald wird seit jeher beschützt."
"So habe ich dich noch nie reden hören, Arla! Verzeih
wenn ich mich über dich lustig gemacht habe." beschwichtigte Valentar.
"Ich werde Euch eine Geschichte erzählen, mein König.
Und sie ist war.
Vor vielen Generationen lebte in diesem Wald meine Ur-
Ur- Urgrossmutter. Sie liebte den Wald und die Tiere darin. Eines Tages
fand sie eine verletzte Hirschkuh und pflegte sie. Gegen den Willen ihres
Vaters, der das Tier lieber schlachten wollte. Doch sie wiedersetzte sich
ihm und musste dafür im Wald übernachten. Als die Hirschkuh wieder
gesund war, brachte sie sie zurück an die Stelle, wo sie sie gefunden
hatte und lies sie frei. Die Hirschkuh jedoch ging nicht in den Wald. Sie
blieb auf der Lichtung und schaute meine Ahnin an. Nach einer Weile wollte
sie dann gehen, doch jedesmal wenn sie versuchte die Lichtung zu verlassen,
stellte sich das Tier in den Weg. Irgendwann hörte man dann ein Rascheln
und eine junge Frau betratt die Lichtung. Das Tier lief auf sie zu und
liess sich von ihr streicheln.
'Danke, das du meiner Schwester das Leben gerettet hast!'
sprach sie 'Dafür gewähre ich dir einen Wunsch.'
'Einen Wunsch' fragte meine Ahnin 'Wie kann ich mir etwas
wünschen?'
'Ich bin die Hüterin des Waldes, ich bin Grün!
Und ich werde dir jeden Wunsch erfüllen. Doch bedenke, du hast nur
diesen Einen und er muss für dein ganzes Leben reichen.' sprach die
Frau.
Meine Ahnin überlegte nicht, sie schaute sich um
und alles was sie sah, liebte sie.
'Ich will, das dieser Wald nie verschwindet und die Tiere
hier glücklich sind.' entschied sie sich.
Sinnend blickte dir Frau sie an und sprach:
'Dein Wunsch ist sehr selbstlos. Bis du dir sicher?'
meine Ahnin antwortete:
'Ich liebe diesesn Wald, so wie er ist, mit all
seinem Leben, seiner Friedlichkeit und seiner Schönheit. Ich will
das er für immer geschützt wird.'
'So sei es. Doch eigentlich wollte ich dir einen Wunsch
erfüllen und nicht dem Wald. Deshalb erweitere ich deinen Wunsch.
Du und deine Nachkommen werdet in diesem Wald immer Schutz finden, keiner
eurer Feinde wird euch hier etwas anhaben können. Nur Freunde werden
ihn betreten dürfen. Es geschehe.'
'Und was ist mit der Hirschkuh?' fragte meine Ahnin.
'Meiner Schwester geht es gut. Wisse, dass dies nicht
ihre wahre Gestalt ist. Doch sie hat gegen Gesetze verstossen und diese
Gestalt war ihre Strafe.' Und die Hirschkuh verwandelte sich in ein blutjunges
Geschöpf.
'Ich danke dir, dass du mein Leben gerettet hast und
mich pflegtest. Lass uns Freundinnen sein.'
Die Frau verschwand und die beiden Mädchen beschlossen
zusammenzubleiben. Die Zeit verging und eines Tages kam ein junger Mann
in den Wald, er war auf Wanderschaft. Die Freundin sagte zu meiner Ahnin,
das es nun Zeit wäre, dass sich ihre Wege trennten. Meine Ahnin verstand
nicht wieso, doch die Freundin erklärte es ihr:
'Dieser junge Mann ist dein Schicksal, lass es nicht
fortgehen.' weinend fielen sie sich in die Arme.
'Und damit du mich nicht vergisst und diesen Wald, gebe
ich dir dieses Buch.' Sie streckte ihr die Hand mit einem alten Buch entgegen.
'Dieses Buch ist sehr alt, es enthält meine Geschichte und die Geschichte
meiner Schwestern. Hüte es gut, denn es wird dir oder einem deiner
Nachkommen einmal nützlich sein. Und zeig es niemanden, in den falschen
Händen ist es eine grosse Waffe.' so sprach sie, drückte meiner
Ahnin das Buch in die Hand und verschwand.
So ist dieses Buch in die Hände meiner Familie gelangt.
Von einer Generation auf die Nächste. Und es wird Euch, mein König,
den Weg weisen." Damit legte Arla das Buch vor Toran.
"Lehst es!"
Toran blätterte vorsichtig den alten grünen
Band auf und las den Titel.
"Die Gesetze der Farbhexen"
wird fortgesetzt
Personen, die bisher auftraten:
Tor - König von Aalrona
Randa - Königin von Aalrona
Prinz Toran - Sohn von Tor und Randa
Lord Valentar - Freund des Königs
Lady Arla Valentar - Gemahlin von Lord Valentar
Fürst Dirba - feindlicher Heeresführer
Gaffur - Zauberer
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